Bellini (1437-1516) war nicht zuletzt ein großartiger Kolorist. So ist dieses meisterliche Gemälde auf dem Dreiklang von drei Grundfarben aufgebaut: Rot (Vorhang und Untergewand Mariens), Blau (Himmel und Obergewand) und Inkarnat, also die Farbe der menschlichen Haut (Gesicht Mariens, Jesusknabe und Häuser im Hintergrund). Dieser Farbgebung entspricht zum einen die dargestellte Jahreszeit, der Herbst. Man erkennt diesen daran, dass ein Baum noch im Grün steht, andere ihre Bäume ihre Blätter aber bereits verloren haben. Auch das Feld ist bereits abgeerntet und das Kind hält eine typische Herbstfrucht, eine Birne in der Hand. Zur Jahreszeit passt wiederum auch das Atmosphärische. Die herbstlich hoch stehenden Wolken im Einklang mit der sinkenden Sonne und der „verlorene“ Blick des Knaben ins Nichts. Wir wissen: Es wird seine schwere Aufgabe sein, zusammen mit der uns sehr ernst anblickenden Mutter, die Ursünde wieder gut zu machen, im Guten noch zu überbieten. Apfel wie Birne – im Lateinischen bezeichnet das sprechende Wort „malum“ alle apfelartigen Früchte, u. a. eben auch Birnen, dazu Quitten und Paradiesäpfel – erinnern an den Sündenfall von Adam und Eva im Paradies. Maria und Jesus steht somit großes Leid bevor – und sie wissen oder ahnen es zumindest. Ein Vorhang in der Farbe des Blutes verdeckt die kommende Passion noch, aber dahinter wird sie bereits unheimlich erspürbar. Maria blickt dem Betrachtet unmittelbar in die Augen: „Das werden wir für dich vollbringen.“ Die hier so eng dargestellte Verbindung von Madonna und Kind verweist auf die Mitwirkung Marias am Heil der Menschen („compassio“): Aber das ist noch nicht alles!
In diesem Zusammenhang darf nämlich auf unsere kürzlich erschienene Publikation „IMR 50 Jahre“ verwiesen werden und hier insbesondere auf den Beitrag von Leo Kardinal Scheffczyk (+) des Titels „Mitwirken am Heil der anderen“ (S. 81-83). Für Kardinal Scheffczyk liegt im Zentrum der Botschaft von Fatima die Aussage, dass jeder Christ befähigt und berufen ist, durch Buße und Gebet am Heil seiner Mitchristen mitzuwirken. Wir alle müssen auch für unsere Mitmenschen – insbesondere auch für die Verstorbenen – einstehen, an ihr Seelenheit denken; kurz, wir sind mitverantwortlich für das ewige Wohl und Wehe auch unserer Nächsten. Kardinal Scheffczyk schreibt: „Es geschieht selten, dass ein Marienwallfahrtsort mit einer direkten und klar umschriebenen Glaubensbotschaft verbunden wird. In Fatima aber ist dies geschehen. Darum hat sich in Bezug auf diese Wallfahrt in weiten Teilen der Kirche auch die Bezeichnung und das Wort von der ‚Botschaft von Fatima‘ eingebürgert und durchgesetzt. Dabei beansprucht diese Botschaft eigentlich nichts Außergewöhnliches oder bislang Unerhörtes. Sie will nur einen Wesenszug des Glaubens beleuchten und bestärken: nämlich die Sühne für die Sünden, d. h. konkret die Mitverantwortung für das Heil der anderen und der ganzen Welt – und dies im Lichte der Urtat Jesu Christi am Kreuz und des Mittuns Marias“.
Foto: Giovanni Bellini, Madonna mit Kind, um 1488 (Wikimedia Commons – gemeinfrei)