Prof. Manfred Hauke über den Marienerscheinungsort, der Muslime neugierig machen könnte.
1917 hat das Sonnenwunder von Fatima etwas Großes bewirkt. Es hat die Säkularisierung in Portugal durchbrochen. Auch heute, hundert Jahre später, steht das Christentum in Europa und darüber hinaus vor Herausforderungen. Dr. Manfred Hauke, Professor für Dogmatik an der Theologischen Fakultät in Lugano, spricht im Interview mit Julia Wächter über den „Weckruf Fatima“.
Die Iberische Halbinsel gehört geschichtlich betrachtet zu den wenigen Regionen, die sich von einer islamischen Fremdherrschaft wieder befreien konnten. Und ausgerechnet bei einem kleinen Ort mit dem Namen Fatima erscheint die Gottesmutter den Kindern. Zufall oder Fügung?
Fatima war die Lieblingstochter Mohammeds. Sie gilt als die prominenteste Frauengestalt im Islam, auch wenn sie im Unterschied zu Maria, der Mutter Jesu, im Koran nicht erwähnt wird. Den Namen „Fatima“ trug auch die muslimische Prinzessin, die nach einer volkstümlichen Überlieferung im Jahre 1158 in die Gefangenschaft eines christlichen Ritters (Gonçalo Hermingues) geriet, der sich in sie verliebte. Sie ließ sich taufen und heiratete ihn. Nach ihrem neuen christlichen Namen (Oureana) wurde eine Stadt benannt, die elf km von Fatima entfernt liegt, Ourem. Nachdem sie in der Blüte ihrer Jahre verstorben war, trat Dom Gonçalo in die Zisterzienserabtei Alcobaca ein. Einige Jahre später gründeten die Zisterzienser in einem Dorf des benachbarten Berglandes ein Priorat. Dort errichtete Dom Gonçalo eine Kapelle, in der er die Überreste seiner verstorbenen Gattin barg. Sie sollen sich noch heute dort befinden, auch wenn keine Inschrift sie aufweist. Aus der Kapelle wurde nach mehreren Umbauten die heutige Pfarrkirche von Fatima.
Die Konversion der muslimischen Prinzessin stammt aus einer Epoche, in der das bis 1085 vollständig muslimisch beherrschte Portugal bis zum Jahre 1250 wieder christlich wurde. Möglich war dies militärisch durch die Kampfbereitschaft der von Frankreich unterstützten Kreuzritter und geistlich durch den neuen Orden der Zisterzienser, der durch den hl. Bernhard von Clairvaux eine gewaltige Ausstrahlung entwickelte. Der symbolträchtige Hintergrund des Ortsnamens Fatima erinnert also an die gewaltsamen Auseinandersetzungen mit dem Islam und die Bekehrung einer muslimischen Prinzessin. Auch die gegenwärtige Bedrängnis durch den Islam und die Hoffnung auf die Bekehrung von Muslimen lässt sich mit der Botschaft von Fatima verbinden, die nach schmerzvollen Verfolgungen den Triumph des Unbefleckten Herzens Mariens verheißt.
Im Jahr vor den Marienerscheinungen begegnet den Seherkindern der Engel des Friedens. Er lehrt sie ein Gebet, kniet sich dazu nieder und beugt die Stirn zum Boden. Sind darin bewusste Parallelen zur Gebetshaltung der Muslime zu erkennen?
Die genannte Gebetshaltung hat ihren Ursprung nicht im Islam, sondern in der christlichen Frömmigkeit des Altertums, deren biblisches Vorbild sich schon bei Abraham findet (Gen 18,2; 19,1). Die tiefe, kniend ausgeführte Verneigung ist also biblisch und nicht typisch muslimisch.
Auch im Islam wird Maria verehrt, wenn auch nicht als Gottesmutter. Sehen Sie hier Möglichkeiten eines interreligiösen Dialogs?
Eine aufmerksame Betrachtung der Texte des Korans über Maria verrät deren ursprüngliche Verbindung zum Christentum. Dies gilt für die jungfräuliche Geburt Jesu aus Maria (Suren 3,45f; 4,171; 5,721; 19,20; 21,91; 66,12) und für einen Hinweis, der sich im Sinne der erbsündenfreien Empfängnis Marias deuten lässt (Sure 3,42). Sie sind aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang herausgerissen, der auf die Gottheit Jesu weist und auf die Bedeutung der übernatürlichen Gnade, deren von der Ursünde herkommender Mangel die Erbsünde bedeutet. Vor allem der deutliche Hinweis auf die jungfräuliche Geburt Jesu kann bei Moslems allerdings ein Interesse für die einzigartige Bedeutung Jesu wecken: Wieso wurde Jesus, der nach dem Islam nur ein Prophet ist und nicht der Sohn Gottes jungfräulich geboren, nicht aber Mohammed, der letzte Prophet? Diese kritische Frage könnte Konversionen vorbereiten. Das Gleiche gilt erst recht für Erscheinungen der Gottesmutter wie die in Zeitoun, einem Vorort von Kairo (Ägypten, 1968-1970). Auch die Marienerscheinungen in Fatima können Muslime neugierig machen auf deren Botschaft, die zu Christus hinführt.
Ein interreligiöser Dialog hingegen ist schwierig wegen der apokryphen Prägung der koranischen Marientexte. Die nachkoranische islamische Überlieferung weicht kritischen Fragen, wie dem Vergleich Jesu mit Mohammed, dadurch aus, dass sie sich auf Fatima, die Tochter Mohammeds, konzentriert und sie (auf Kosten der Mutter Jesu) bis ins Phantastische überhöht. So wird (trotz des sonst geltenden Bilderverbotes) Fatima (und nicht Maria) als im Himmel thronend dargestellt mit Diadem, Schwert und Ohrringen.
Die Botschaft von Fatima ist in eine Zeit der Säkularisierung hineingesprochen worden. Kann sie für die heutige Zeit Antworten geben, wie mit dem zunehmenden Glaubensverlust in Europa pastoral umgegangen werden muss?
Die Säkularisierung in Portugal wurde von kirchenfeindlichen Kräften gefördert, die im Zuge der „Aufklärung“ des 18. Jahrhunderts entstanden waren und ihren organisatorischen Kern in den Freimaurerlogen fanden. Der ideologische Hintergrund für die Entstehung der Freimaurerei war der Deismus, wonach es zwar einen Gott gibt, der die Welt geschaffen hat, der aber niemals unmittelbar in der Schöpfung wirkt. Damit fällt auch der Begriff einer geschichtlichen Offenbarung, die bezeugt wird durch Wunder und Prophezeiungen. Diese Ideologie geriet in eine Krise durch das Sonnenwunder von Fatima am 13. Oktober 1917, nachdem drei Monate zuvor die Gottesmutter ein Wunder vorausgesagt hatte. Das Bewusstsein für das Wirken Gottes in der Geschichte öffnete die Menschen wieder für den Glauben und das Gebet.
Auch heute gilt es, für die Wunder im Leben Jesu und der Heiligen die Augen zu öffnen. Das tägliche Gebet des Rosenkranzes führt zur Betrachtung des Lebens Jesu aus der Perspektive Mariens und zu einem Leben, das sich von Jesus und Maria formen lässt. Einen kräftigen Schub für die Erneuerung des Glaubens finden wir auch in der Praxis der ersten Monatssamstage (monatliche Beichte und Kommunion im Geiste der Sühne gegenüber den Herzen Jesu und Mariens, 15 Minuten Betrachtung der Rosenkranzgeheimnisse und Gebet des Rosenkranzes; Verheißung, nach fünf demgemäß verbrachten Samstagen in der Gnade Gottes zu sterben). Wichtig scheint dabei vor allem die Wiederbelebung der Beichte und die Verbreitung des betrachtenden Gebetes, die zu einer täglichen Praxis ermuntert. Die Beichte ist der Höhepunkt eines Lebens der Buße („Buße, Buße, Buße!“ ruft ein Engel im „dritten Geheimnis“ von Fatima) und des Glaubens, der sich dem Gebet öffnet (nach dem Vorbild des Engels, der die Kinder zur Anbetung des Allerheiligsten Sakramentes anleitet).
Den Seherkindern wurde mehrfach mit Gewalt gedroht. 1922 wurde ein Bombenanschlag auf die Erscheinungskapelle von Fatima verübt – ein Bild, das heutigen Menschen recht aktuell erscheinen dürfte. Ist Fatima auch ein Weckruf gegen Christenverfolgung und religiös motivierten Terror?
Das am 13. Juli 1917 offenbarte „Geheimnis“ spricht in seinem zweiten Teil von Verfolgungen der Kirche. Der im Jahre 2000 enthüllte dritte Teil deutet in seinen visionären Bildern ebenfalls eine blutige Verfolgung an, aber auch den aus dem Martyrium entspringenden Segen. Aus dem Lebensopfer quillt die Gnade einer geistlichen Neugeburt, ähnlich wie auf den Kreuzestod Jesu die Auferstehung folgt. Fatima ist ein Weckruf im Blick auf die Gefahr der ewigen Verdammnis (Höllenvision, Gebet „O mein Jesus …“), aber auch eine Botschaft des Trostes für die Christen, die um ihres Glaubens willen Verfolgung leiden. Am Ende wird nicht der Hass, sondern die göttliche Liebe, die aus den Herzen Jesu und Mariens strahlt, triumphieren, und der vom Kreuz her ermöglichte Friede Gottes, den diese Welt nicht geben kann.